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Weihnachten in Afg 2009?
Heilig Abend in Afghanistan: Ein Soldat erzählt wie er es erlebt hat
Mazar e Sharif. Weihnachten? Nein, Weihnachten ist weit weg. In diesem Jahr findet Weihnachten nicht statt, jedenfalls nicht bei mir. Bis hierhin, bis nach Mazar-e Sharif kommt Weihnachten nicht.
Was sollte der Weihnachtsmann mit seinem Schlitten auch schon hier zu suchen haben – wenn er Mazar-e Sharif überhaupt finden würde. Nein, Weihnachten findet in diesem Jahr ohne mich statt.
Okay, einige Kameraden versuchen seit zwei, drei Wochen verzweifelt so etwas wie Weihnachtsstimmung hierhin zu bringen.
Hier ein Baum mit bunten Kugeln, da ein Adventskranz, ja sogar ein Flugzeug haben sie fantasievoll weihnachtlich gestaltet. Aber mich? Mich kriegen sie damit nicht. Weihnachtsstimmung? Fehlanzeige ! Was soll das auch, fast 5400 Kilometer von zu Hause entfernt, irgendwo in Afghanistan. Selbst in den letzten 48 Stunden vor dem Heiligen Abend können mir die immer massiver werdenden Melanchonie-Attacken nichts anhaben. Am Dienstag bin ich mit den Kampfmittelbeseitigern unterwegs. Sprengen. Eine Patrouille hatte wenige Tage zuvor zwei Kleinbomben entdeckt. Gefährliche Überbleibsel aus der Zeit der Sowjet-Besatzung hier in Afghanistan. Die Soldaten der Kampfmittelbeseitigung sprengen die beiden Bomben. Wie soll denn da Weihnachtsstimmung aufkommen? Das hat schon eher was von Silvester. Und am Mittwoch kommt doch tatsächlich noch hoher politischer Besuch. Von wegen ein paar ruhige Tage zu Weihnachten. Der Besuch bindet mich voll und ganz. Begleiten und Fotos schießen, anschließend einen Pressetext daraus machen.
Das alles unter Zeitdruck, denn der Text soll noch am gleichen Tag nach Deutschland. Da bleibt keine Zeit für Weihnachtsgefühle. Gut so! Mich kriegen sie nicht hier in Mazar-e Sharif.
Dann kommt er, der 24. Dezember. Ich telefoniere früh morgens mit zu Hause, erst mit der Lebensgefährtin, dann mit den Kindern.
Um diese Tageszeit kommt noch keine Weihnachtsmelancholie auf. Ich bin stark, diese Überzeugung setzt sich in mir fest. Mittags die Generalprobe für das nachmittägliche Krippenspiel in der Oase, der Betreuungseinrichtung der Militärseelsorge. Ich schaue es mir an, mache schon mal ein paar Notizen. Ich will eine Weihnachtsgeschichte machen mit unseren Militärpfarrern: Militärseelsorge im Einsatz. Ein interessantes und vielseitiges Thema. Da brauche ich um 16 Uhr das Krippenspiel als Aufhänger.
Um Drei noch einen schnellen Fototermin und dann packe ich im Büro meine Weihnachtsgeschenke aus der Heimat aus. Toll, wieviel Mühe sich die Kinder gegeben haben. Mit viel Herz und Liebe ausgedachte Geschenke, und Worte die ausdrücken wie sehr sie ihren Vater vermissen. Und im Paket meiner Lebensgefährtin:
Ganz viele Zeichen von Liebe und Vermissen, aber auch von dem Willen Stärke zu zeigen um mir den Rücken freizuhalten. Die Adventskerzen brennen. Ich atme tief durch, aber die Augen werden trotzdem feucht. Verdammt, was soll das jetzt?
Kurz vor vier, ich muss los zum Krippenspiel. Sie machen das toll, die Laiendarsteller der Theatergruppe und der Chor. Alles Soldaten so wie ich. Die Geburt Jesus Christus – unter den liebevoll gemachten Kostümen ist der Flecktarn zu sehen. Routiniert mache ich meine Fotos, sammle Eindrücke und Stimmungen. Ein Job, Klaus, es ist nur ein Job. Aber sie machen das wirklich toll, eine feierliche Atmosphäre liegt über der „Oase“. Das Krippenspiel geht zu Ende, der Militärpfarrer tritt vor und beginnt den Gottesdienst.
Er sagt was wohl viele denken: Müssten wir an einem Tag wie heute nicht eigentlich bei unseren Familien sein? Ich stimme ihm im Stillen zu. Ja, ich müsste auch bei meiner Familie sein. Dann fordert er auf, das erste Lied zu singen. Das vielleicht bekannteste deutsche Weihnachtslied, das Lied, dass über Generationen hinweg diesen seltsamen, besonderen Zauber des Heiligen Abends ausdrückt. Aus vielen Kehlen schallt es auf einmal durch den Raum: „Stille Nacht, heilige Nacht“. Ich schließe die Augen – und auf einmal bin ich nicht mehr in Afghanistan. Ich bin weit weg, ich bin alleine – alleine mit mir und diesem Lied, diesem „Stille Nacht, heilige Nacht“. Und auf einmal ist Weihnachten. Ich kann mich nicht mehr wehren, es hat mich eingeholt. Und ich will mich auch nicht mehr dagegen wehren. Ich lasse die Tränen laufen, es sieht sie doch keiner. Ich bin alleine, so wie all die anderen Besucher in der Oase, wie der Militärpfarrer, der Chor und die Theaterspielgruppe. Jeder ist für sich alleine. Einen kurzen Moment, ein „Stille Nacht, heilige Nacht“ lang. Es ist Weihnachten.
Quelle: Einsatzgeschwader Mazar e Sharif